Süßholzwurzel
Wer schon einmal Lakritz gegessen hat, weiß, wie Süßholz schmeckt. Denn der eingedickte Saft aus der Wurzel des Krauts ist Hauptbestandteil der schwarzen Leckerei. Doch die Pflanze hat auch eine große medizinische Bedeutung, die schon seit der Antike bekannt ist und heute wieder mehr gewürdigt wird. Die Inhaltsstoffe helfen vor allem bei Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Beschwerden und als Bestandteil beruhigender Tees. In der asiatischen Heilkunde ist Süßholz ein tonisierendes Mittel für Körper und Geist.
Das Echte Süßholz (Glycyrrhiza glabra) ist anhand seiner Samen leicht als Hülsenfrucht zu erkennen und gehört innerhalb dieser Familie zu den Schmetterlingsblütlern. Der botanische Name leitet sich vom griechischen glykys für süß und rhiza für Wurzel ab. Zuerst hat man nur die trockene Wurzel so genannt, später dann die ganze Pflanze. „Glabra“ bedeutet im Lateinischen glatt. Die mehrjährige Staude kann bis zu zwei Meter hoch werden und kommt im Mittelmeerraum, in Kleinasien und Russland vor. Eine Zeit lang wurde Süßholz in größeren Mengen auch in Deutschland, um Bamberg herum, angebaut. Heute liegen die Anbaugebiete vor allem rund ums Mittelmeer, in Russland, im Irak und in China.
Ein wichtiges Mittel seit der Antike
Die größte Süß- und Heilkraft der Pflanze liegt in ihren unterirdischen Teilen, in den Wurzeln. Das wussten schon der römische Naturforscher Plinius und der griechische Arzt Dioskurides, der die Heilwirkung der Süßholzwurzel im 1. Jahrhundert beschrieben hat. Demnach soll sie bei Atemwegserkrankungen, Husten, Heiserkeit, Asthma, Leber-, Blasen- und Nierenbeschwerden helfen. Laut Überlieferung nutzten Reitervölker die Wurzel bei ihren Wüsten- und Steppendurchquerungen, weil sie den Appetit zügeln kann. Von Napoleon ist bekannt, dass er wegen seiner Gastritis unterwegs immer Lakritz dabei hatte. In Mittel- und Nordeuropa war Süßholz bis ins Mittelalter nahezu unbekannt. Hildegard von Bingen schätzte es dann aber sehr und war überzeugt, dass die Wurzel eine klare Stimme und gute Laune macht, sowie die Verdauung verbessert, egal in welcher Form sie aufgenommen wird.
Chinesische Medizin: hilfreich bei Burnout
In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist Süßholz (Gan Cao) eines der wichtigsten Mittel und Bestandteil vieler Rezepturen. Man bezeichnet es als reizlindernd, tonisierend, befeuchtend, entzündungshemmend, herzstärkend und entgiftend. Zusammen mit Ingwer wird die Wurzel bei Erschöpfung, Depressionen und Burnout verschrieben. Das stärkt laut TCM die Mitte, das Qi und das Immunsystem, aber auch Muskeln und Knochen. Außerdem werden der Pflanze Anti-Aging-Eigenschaften zugeschrieben, weil sie positiv auf das Gehirn wirkt.
Ayurveda: schleimlösend und beruhigend
Auch im indischen Ayurveda hat Süßholz (Yasti-Madhu) einen hohen Stellenwert. Nach der Dosha-Lehre verringert es Vata und Pitta und ist damit gut für Nerven und Psyche und zur Beruhigung des Geistes. Medizinisch eingesetzt wird es als Expektorans (auswurfförderndes Mittel) bei Husten und Bronchitis, bei Halsschmerzen, Geschwüren, Übersäuerung und Schwächezuständen. Dass Süßholz hilft, Erkältungsschleim loszuwerden, wird damit erklärt, dass Süßes im Körper befeuchtend wirkt.
Die moderne Medizin bestätigt das. Demnach sind es die Saponine, die schleimverflüssigend und auswurffördernd und dazu noch antibakteriell und antimykotisch sind. Süßholzwurzelpulver ist Bestandteil vieler ayurvedischer Tees und harmonisiert den Geschmack und die Eigenschaften der anderen Gewürze und Kräuter. In Indien bezeichnet man Süßholz als sattvische (natürliche, reine) Pflanze, die das Gehirn nährt und für Zufriedenheit sorgt, Stimme, Sehkraft, Haarwuchs und Haut verbessert, Hitze und Trockenheit entgegenwirkt und Gifte ausleitet.
Nicht nur die Süße ist wertvoll
Als Zucker noch sehr teuer und kaum zu haben war, hat man die gelbe, holzige Wurzel geraspelt, um Speisen zu süßen. Daher kommt der Begriff „Süßholzraspler“ für jemanden, der übertriebene Komplimente macht und sich einschmeicheln will. Der süße Geschmack entsteht durch Glycyrrhizin, ein Kalium-, oder Kalziumsalz der Glycyrrhizinsäure, das etwa die 50-fache Süßkraft von Saccharose hat. Wegen der pharmakologischen Wirkung sollte Süßholz aber nicht auf Dauer zum Süßen verwendet werden. Forscher haben insgesamt rund 400 verschiedene Inhaltsstoffe entdeckt, darunter viele Saponine, Flavonoide, Phenole, Schleimstoffe und anderes mehr.
Wissenschaftlich belegte Wirkungen
2012 hat der Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg Süßholz zur Arzneipflanze des Jahres gekürt. Damit sollte auf das große Potential dieser Pflanze und die Jahrtausende alte Tradition in der Heilkunde aufmerksam gemacht werden. Belegt ist, dass Süßholz bei Katarrhen der oberen Atemwege Erleichterung verschaffen, die Abheilung von Magen- und Darmgeschwüren und Gastritis beschleunigen sowie die Magenschleimhaut schützen kann. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Glycyrrhizin einen positiven Effekt bei Virusinfektionen hat. Im Reagenzglas wurde das beispielsweise bei Herpesviren, aber auch bei Pilzbefall mit Candida Albicans und bei Besiedelung mit dem Bakterium Helicobacter pylori im Magen beobachtet.
Weitere mögliche Indikationen: Wechseljahrsbeschwerden, Osteoporose, Arthritis, Sodbrennen, chronisches Müdigkeitssyndrom, Abszesse, Hautekzeme, Hautausschlag, hormonelle Störungen sowie hoher Cholesterin-, Kalium- und Blutzuckerspiegel. Dafür wird Süßholz allein oder zusammen mit anderen Pflanzen wie Ingwer, Kardamom, Ginseng oder Schisandra eingenommen. Bei Reizdarmsyndrom verabreicht man Süßholz mit Haferkleie. Bei Hautkrankheiten und Juckreiz kann das Pulver als Paste aufgetragen werden.
Vorsicht bei der Einnahme
Süßholzwurzelpulver sollte nicht länger als sechs Wochen eingenommen werden. Ganz auf Süßholz verzichten sollten Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit, Menschen mit Leberentzündungen, Nierenfunktionsstörungen, Bluthochdruck und Kaliummangel.
Es sind die Triterpensaponine, die den Blutdruck steigen lassen, in dem sie auf die Botenstoffe Kortison und Aldosteron einwirken, die wesentlich an der Regulierung von Blutdruck und Blutzuckerspiegel beteiligt sind. Gleichzeitig wird durch eine gesteigerte Tätigkeit in der Nebennierenrinde Natrium zurückgehalten, was bei hohen Dosen zu Ödemen und zu Wassereinlagerungen an den Fußknöcheln und am Herz führen kann.
Wird ein Wurzelpulver oder -extrakt längere Zeit eingenommen, muss auf eine kaliumreiche Ernährung geachtet werden. Wer Digitalispräparate oder andere über den Mineralstoffwechsel harntreibende Mittel einnimmt, sollte besonders vorsichtig sein und mit seinem Arzt die möglichen Wechselwirkungen besprechen. Denn in der Kombination der Wirkstoffe können die Nebenwirkungen verstärkt auftreten. Wer keine schweren Krankheiten hat, dem werden kleine Mengen von Süßholzwurzelpulver nicht schaden. Er kann von den gerade im Ayurveda positiv beschriebenen Eigenschaften profitieren, den süßen Geschmack der Pflanze genießen und die durch Kombination mit anderen Substanzen auftretenden gesundheitsfördernden Effekte nutzen.